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Vor sechs Jahren startete Housing First Berlin als Pilotprojekt – ein Meilenstein, der einen Kurswechsel in der Wohnungsnotfallhilfe versprach. Das Team hat mit viel Einsatz und Engagement dazu beigetragen, das Prinzip Housing First in Berlin und Deutschland zu etablieren und gezeigt, dass der Ansatz funktioniert. Ein bedarfsgerechter Ausbau ist jedoch aufgrund der schwierigen Finanzierung weiterhin nicht möglich.
Am Freitag, den 11. Oktober 2024, wurde das Jubiläum mit einem Tag der offenen Tür gefeiert. Die Veranstaltung bot eine Plattform für Reden und Diskussionen über die Erfolge, aber insbesondere auch die Herausforderungen und Hürden des Projekts. Zu den Redner*innen gehörten die Berliner Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe, Karen Holzinger von der Berliner Stadtmission, Ingo Bullermann, Geschäftsführer der Neuen Chance gGmbH, das ehemalige Teammitglied Stefan Laurer und der Peer Group Worker Markus Voss.
Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe betonte die Einzigartigkeit und Bedeutung des Projekts. Housing First Berlin biete Menschen Sicherheit und Raum, um sich zu stabilisieren und weiterzuentwickeln. Trotz finanzieller Herausforderungen, die durch die Notwendigkeit, den Berliner Haushalt um drei Milliarden Euro zu kürzen, verschärft werden, versprach Kiziltepe, sich für den Fortbestand des Projekts einzusetzen. Eine politische Entscheidung über die zukünftige Finanzierung wird Ende November erwartet.
Karen Holzinger von der Berliner Stadtmission hob die Bedeutung der internationalen Vernetzung und die Gründung des Bundesverbands hervor, um Wissen und Prinzipien zu teilen. Hier habe sich viel bewegt. „Housing First bleibt aber ein ‚Tropfen auf dem heißen Stein‘, solange es keine Umsetzung einer bundesweiten Strategie gegen Straßenobdachlosigkeit gibt“, so Holzinger. Zusätzlich stehe die Hilfelandschaft aktuell vor großen finanziellen Herausforderungen, insbesondere Projekte wie Housing First Berlin, die von Zuwendungsmitteln abhängig sind. Sie appellierte an die Politik, finanzielle Anpassungen rechtzeitig zu kommunizieren, und fügte hinzu: „Ich hoffe, dass sie nicht zu gravierend ausfallen.“
Ingo Bullermann wies darauf hin, dass der Blick auf erfolgreiche Modelle wie Finnland zwar inspirierend, aber nicht übertragbar sei. Denn in Finnland habe ein Umbau des gesamten Hilfesystems stattgefunden – eine Entwicklung, die in Deutschland bisher fehle.
In sechs Jahren konnte Housing First Berlin 73 Wohnungen vermitteln. Der Ausbau bleibt jedoch durch die begrenzten Zuwendungsmittel eingeschränkt. Um dennoch weiter Menschen aufnehmen zu können, wäre eine Option, Housing First als Türöffner und Übergang in die Regelhilfen zu nutzen, so Bullermann. Allerdings ist die Vermittlung, insbesondere die Eingliederungshilfe, oft schwierig. Eine möglichst schnelle Weitervermittlung widerspricht zudem den Prinzipien von Housing First: flexible Hilfen so lange wie möglich, absolute Freiwilligkeit sowie Wahl- und Entscheidungsfreiheit. „Die Zeiten sind keine einfachen, und unser Team macht sich viele konstruktive Gedanken. Bei Engpässen sind wir immer wieder dankbar für die Zusammenarbeit mit dem Senat. Aber durch die Zuwendungsfinanzierung ist unser Handlungsrahmen begrenzt. Wie können wir eine Regelfinanzierung schaffen, die ein Wachstum des Projekts ermöglicht?“ fragte Bullermann zum Abschluss. Unter den aktuellen Gegebenheiten bleibt zunächst nur eine pragmatische Anpassung des Projekts, die die Prinzipien von Housing First nicht schwächt und gleichzeitig sinnvoll in bestehende Ressourcen einbindet.
Stefan Laurer, der seit dem 1. Oktober im Ruhestand ist, teilte im Anschluss zwei eindrucksvolle Anekdoten aus seiner Zeit bei Housing First Berlin: Zu Beginn der Laufzeit zog ein Klient in eine Wohnung ein, musste jedoch nach einiger Zeit für längere Zeit in den Maßregelvollzug. Normalerweise bricht die Hilfe in solchen Fällen ab und wird erst nach der Entlassung wieder aufgenommen. Durch Housing First konnte der Kontakt jedoch gehalten werden, und der Teilnehmer zog am Tag seiner Entlassung direkt wieder in eine eigene Wohnung. In einem anderen Fall brach ein Klient den Kontakt zum Team ab. Fünf Jahre später meldete sich der Vermieter wegen Mietrückständen beim Projektteam, und es gelang, den Kontakt wiederherzustellen. Aktuell wird daran gearbeitet, dass der Betroffene seine Wohnung nicht verliert.
Diese beiden Einzelfälle zeigen anschaulich, was flexible und unbefristete Hilfe leisten kann. Dass das Projekt nachhaltig wirkt, zeigt auch die Statistik: Nach drei Jahren leben noch über 90 % der Teilnehmenden in ihrem eigenen Wohnraum.
Peer Group Worker Markus Voss, selbst acht Jahre obdachlos, sprach über die Herausforderungen, die obdachlose Menschen im Umgang mit Ämtern und Regelhilfen erleben. Das erzeuge Misstrauen und Vorbehalte. Er betonte die Wichtigkeit von Vertrauensarbeit und ermutigte die Teilnehmer, nicht aufzugeben. Am Ende teilte eine Projektteilnehmerin ihre Geschichte mit dem Publikum und beendete den offiziellen Teil mit den Worten: „Dieses Projekt muss unbedingt weiter fortgeführt werden!“
Housing First Berlin hat in den letzten sechs Jahren bedeutende Erfolge erzielt und das Leben vieler Menschen positiv verändert. Obwohl der Ansatz nachweislich funktioniert, fehlt es aber nach wie vor an Möglichkeiten, das Projekt bedarfsgerecht in Berlin umzusetzen. Nicht nur ist in der Zuwendungsfinanzierung ein Ausbau nicht möglich – durch die aktuellen Einsparungen ist sogar der Status quo gefährdet. Es braucht endlich eine konkrete Umsetzung des Nationalen Aktionsplans, in dem sich Housing First mit einem festen Platz und einer sicheren Finanzierung findet, um die Prinzipien von Housing First in die Zukunft zu tragen.
Neue Chance gGmbH